FILMKRITIK: „SKINAMARINK“ (Horror - 2022)



Mit „Blair Witch Project“ haben Daniel Myrick und Eduardo Sánchez inszenatorisch das Found-Footage Thema in den späten 90ern neu interpretiert und die Messlatte fürs eigenwillige Horrorkino schon mal ordentlich angesetzt. Vor allem dieses ständige Spiel mit dem „Nicht-Vorhandenen“, dem Kinopublikum einen Gedanken einzupflanzen, ihn aber nicht zu visualisieren, fand ich damals schon großartig! 


Im Jahr 2007 wurde im Genre dann - zumindest aufgrund des finanziellen Aspektes - Geschichte geschrieben, denn es gab zu dieser Zeit ein ganz spezielles Kino-Phänomen, das die Leinwand-Fans schockiert, verängstigt und gleichermaßen begeistert hat. Eine Low-Budget-Produktion, die aus „mickrigen“ 215.000 USD, knapp über 193 Millionen USD erwirtschaftet hat. Klar gab es auch viele Gegenstimmen, die mit dieser speziellen Art des Konzeptes absolut nichts anzufangen wussten. Die Majorität der Zuschauerschaft jedoch, ließ sich gebannte 86 Minuten in den Kinosessel pressen und verließ hinterher den Saal mit nichts, außer dem anhaftenden Gefühl von Unbehaglichkeit. Die Rede ist natürlich von „Paranormal Activity“.


Doch 2023 kommt ein gewisser Kyle Edward Ball um die Ecke, nimmt 15.000 USD in die Hand, stattet sein Elternhaus mit Kameras aus, filmt jeden erdenklich finsteren Winkel, stülpt seinem Film ein verflucht unheimliches Sounddesign über, nennt das ganze dann SKINAMARINK, generiert damit einen Mega-Hype und macht mal locker 2,1 Mio. an den Kinokassen.


Aber: So einfach wie dieser Kontext auch klingen mag, Cineasten wissen, dass es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit ist, mit so wenig Mitteln, etwas derart Angsteinflößendes auf die Beine zu stellen. Sollte man den Film noch nicht gesehen haben, kann ich euch sagen, dass man sich vorab gut informieren sollte, womit man es hier zu tun hat. Denn SKINAMARINK ist kein Slow-Cinema-Projekt. Es ist ein Slow-Slow-Slow-Cinema-Projekt, denn über die gesamte Laufzeit von knapp 100 Minuten passiert praktisch GAR NICHTS. Und wenn ich GAR NICHTS sage, dann meine ich auch GAR NICHTS! Stativ aufgestellt und ’ne finstere Zimmerecke gefilmt. Wieder auf Stativ: Eine an der Decke klebende Kinderpuppe eingefangen. Abermals auf Stativ: Zoom in einen leeren, finsteren Gang. Stativ, Fernseher, Cartoons. Und abermals gibt’s kleine Found-Footage-Anleihen, die jedoch sehr rar gesät sind. Zu Recht fragt man sich: DAS SOLL EIN HORRORFILM SEIN? ERNSTHAFT? Antwort: JA, und was für ein cleverer, kreativer, beängstigender noch dazu. Denn SKINAMARINK lebt von seiner verflucht unangenehmen, spooky (Albtraum-)Atmosphäre, von der generellen Geräuschkulisse, von der abstrusen Darstellung kindlich-nostalgischem Alltagsgrauen. Und dann gibt es auch noch diese tiefe, ekelhafte Dämonenstimme, die den Kindern irgendwelche Befehle erteilt und sie animiert, um finstere Hausecken zu spähen, die Etagen zu wechseln, unters tiefschwarze Bett zu schauen, in den Gängen umherzustreifen, dem Keller einen Besuch abzustatten und sich die Augen mit einer Schere auszustechen. Übrigens: Der Film hat zwar nur vereinzelte Jump-Scares (solltet ihr so etwas mögen), dafür wurden sie aber so fies, geschickt und an unerwarteter Stelle positioniert, dass ich sie einfach nicht habe kommen sehen und dem Herzinfarkt noch nie so nahe gewesen bin. Noch dazu habe ich mir diese 100 Minuten in absoluter Dunkelheit inkl. Kopfhörer einverleibt: DAS WAR SCHEI** UNHEIMLICH! ERNSTHAFT. Mich hat das Ding an manchen Stellen echt kalt erwischt. Hatte da teilweise ganz schönes Herzklopfen, muss ich sagen.


Auch wenn in interaktiver Form sehr wenige Handlungen stattfinden, in meinem Kopf haben sie das definitiv, und genau DAS sollte das Konzept des Films sein. Dass die Gedanken der Zuschauer immer auf Achse sind, sich Dinge in der Dunkelheit vorstellen, die - man weiß es nicht so genau - möglicherweise da sind, oder auch nicht.


Was mich anfangs massiv gestört hat, ist diese extrem starke Körnung am Videomaterial, die leider durchgehend dafür gesorgt hat, dass man - verstärkt durch die Vielzahl an stockdunklen Shots - noch weniger erkennen konnte. Dabei hatte ich eh schon die Blu-ray eingelegt, Gott bewahre, ich hätte die DVD reingeschmissen. Das hat mir ehrlich gesagt so ein klein wenig den Spaß an der Sache versaut. Zunächst. ABER: Alles komplett nebensächlich, wenn man sich mal vor Augen führt, wie Kyle Edward Ball und - nicht zu vergessen - Jamie McRae an der Kamera, mit derart wenigen Mitteln, man könnte das beinahe „finanzielle Unterversorgung“ nennen, so eine unheimliches, unbequemes Stück Filmkunst hingezaubert haben. Das bekommen viele Filmemacher mit Millionen-Budgets nicht gebacken. Dafür gibt es auf jeden Fall meine allerhöchste Achtung!


Fakt ist jedoch: SKINAMARINK ist für eine ganz spezielle Art des Kinopublikums konzipiert worden, die diesen Slow-Burn-Faktor zu schätzen wissen, oder gar lieben, und der Länge - in Bezug auf diese Kunstform - etwas abgewinnen können. Ich gehöre definitiv zu dieser Gruppe und empfinde den Film als kleines Horror-Glanzstück. Aber: Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder das ist der unheimlichste Film seit langem oder der langweiligste. Das müsst ihr definitiv selbst entscheiden. 


Inhaltsangabe:


1995: Eines Nachts wachen der vierjährige Kevin und seine sechsjährige Schwester Kaylee allein zu Hause auf. Von ihren Eltern fehlt jede Spur. Noch dazu verschwinden alle Fenster und Türen auf unerklärliche Weise. Um sich von der beängstigenden Stille und Dunkelheit um sie herum abzulenken, schauen die Kinder Zeichentrickfilme und beschäftigen sich mit ihrem Spielzeug. Dann hören die Geschwister plötzlich eine unheimliche Stimme, die aus den Schatten des Hauses zu ihnen spricht - und mit ihnen spielen will ...

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