FILMKRITIK: „LAMB“ (Horror/Drama - 2021)



Gleich zu Beginn der Besprechung muss ich eines klarstellen: „LAMB“ ist definitiv nicht fürs Standard-Kinopublikum geeignet. Versteht mich bitte nicht falsch. Damit meine ich keineswegs, dass sich jener Zuschauerkreis von diesem Film grenzenlos überfordert fühlt, sondern, dass er sich inhaltlich, bzw. erzählerisch so immens weit vom Mainstream wegbewegt, dass er für den einen oder anderen Personenkreis – höchstwahrscheinlich - behäbig, oder gar schwerfällig wirkt. Man tut auf jeden Fall gut daran, sich vorab schlau zu machen, was hier Phase ist. Vielleicht liefern meine nachfolgenden Zeilen sogar eine kleine Hilfestellung, ob dieser Arthouse-Titel in euer Beuteschema passen könnte oder nicht. Fakt ist jedoch: „LAMB“ ist einer jener freudigen Überraschungstitel, dich mich – aufgrund meiner im Vorfeld herrschenden niedrigen Erwartungshaltung - völlig kalt erwischt haben und mich auch jetzt noch zum wiederkehrenden Interpretationsspiel einladen. Und das im positivsten Sinne. Denn seit meinem Kinobesuch 2022, musste ich immer wieder mal an diesen düsteren, unheilvollen Grundton des Films denken, der mit so vielen eindringlichen, atmosphärischen, aber auch echt verstörenden Bildern gearbeitet hat, dass mein Hirn sich auch heute noch strikt weigert, gewisse Szenen aus meinem Stammhirn zu entfernen. Man muss allerdings dazusagen, dass die durchschnittlichen Kritikerwertungen der Filmcommunity nicht gerade berauschend sind. (Filmstarts 3,3/5 – IMDb 6,3/10 – Kino-Zeit 3,1/5) Für mich überhaupt nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Produktionsverantwortlichen, einen klassischen Independent Film, der als reines Drama konzipiert wurde, dem Publikum als Horrortitel verkauft hat. Das reinste Himmelfahrtskommando mit einer unendlichen Fallhöhe würde ich meinen. Außerdem kenne ich wahrlich keine Beispiele, wo diese Marketingstrategie jemals – auf langfristiger Ebene - gefruchtet hat. Na ja. Genug dazu.

Wie hat sich „LAMB“ nun geschlagen?


Schon auf halber Strecke war mir die Grundaussage der Erzählung sonnenklar: Es geht ganz klar um das Thema Trauerbewältigung, um das Gefühl von Einsamkeit (loszuwerden), um Macht- sowie Abhängigkeitsverhältnisse der Figuren zueinander, um den unausgesprochenen Wunsch des erneuten Mutter-/Vaterseins, um die generelle Sinnsuche des Lebens, um den Aufbau von Verantwortung einem fremden Individuum gegenüber und es geht auch klar um den - innermenschlichen Fortbestand, der uns freidenkerisch von animalischen Strukturen befreien/unterscheiden soll. All das hat Regisseur Valdimar Jóhannsson in hervorragenden Bildern eingefangen, die idyllischer und zugleich trügerischer nicht sein könnten. Hinzukommt eine fulminante, tragende Soundkulisse, die jeglichen optischen Reiz perfekt untermauert. Auch in schauspielerischer Hinsicht muss ich sagen: Noomi Rapace spielt in „LAMB“ definitiv ihre bislang beste Rolle.


Nochmal: Wir reden hier von einem puren Arthouse-Titel, der definitiv eine unkonventionelle, nicht lineare Erzählweise pflegt und jeglichen Standard, den man vom normierten „Horrorgenre“ (man beachte die Anführungszeichen) bereits kennt, komplett ausspart. Daran gibt es keinen Zweifel.

Das heißt: „LAMB“ ist als klassisches Familiendrama im Slow-Cinema-Style angelegt, dem eine hauchzarte Horrormembran übergestülpt wurde, die aber kaum ins Gewicht fällt. Die Handlung per se wird überaus langatmig und ausschweifend erzählt, dies passiert allerdings weniger auf der Dialogschiene, sondern über den Transport stimmungsvoller Szenenbilder, Landschaftsaufnahmen und Close-ups. Gerade dieser immer wieder auftauchende voyeuristische POV, den man als ZuschauerIn oftmals einnimmt, hat mich richtig abgeholt. Außerdem bin ich großer Fan davon, der Erzählebene, den Figuren, den dramatischen Konflikten viel Raum zu geben und Effekte jedweder Art auszuklammern. Zugegeben: Dieses CGI konfigurierte Lamm sieht nicht in jeder Einstellung erstklassig aus, vor allem bei Nahaufnahmen merkt man dem Film das fehlende Budget an, aber mich persönlich hat das in diesem speziellen Rahmen überhaupt nicht gestört.


Für mich war und ist „LAMB“ DIE Kinosensation des vorletzten Jahres. Punkt.


Inhaltsangabe:


Weites Land, Bergketten, endloser Himmel, ein abgeschiedenes Haus: In der überwältigend schönen isländischen Landschaft züchten Maria und Ingvar Schafe. Sie führen ein einfaches, der Natur verbundenes Leben. Bis eines Nachts etwas Seltsames in ihrem Stall passiert: Ein Schaf gebärt ein mysteriöses Wesen, das die beiden wie ein eigenes Kind aufziehen und dem sie den Namen Ada geben. Das mit inniger Freude begrüßte Familienglück wird jedoch schon bald auf die Probe gestellt – denn Mutter Natur steckt voller Überraschungen …

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Kommentare: 1
  • #1

    Petra Pirngruber (Dienstag, 21 November 2023 06:48)

    Nachdem ich den Film im ersten Anlaufen nach gesehenen 5 Minuten verschlafen habe (was definitiv NICHT am Film lag), startete ich einen 2. Versuch, da mir schon Musik und Bilder zu Anfang sehr unter die Haut gingen.
    Mystisch, geheimnisvoll, herzergreifend, voller Mitgefühl für seine Lebewesen….so berührte mich dieser Film ganz tief. Und lässt mich bis heute nicht los über die verschiedenen Facetten, wie in der Besprechung oben genannt, nachzudenken.
    Darin lag Märchenhaft-Mythologisches, den menschlichen Urtrieb der Fortpflanzung Ansprechendes, aber auch Abgründe der Seele und unverarbeitete Gefühle. Diese Landschaftsaufnahmen und die Musik waren so perfekt ausgesucht-
    für mich vollkommen.
    Für mich ist „Lamb“ ein Highlight- etwas ganz, ganz Besonderes�