Rezension: "Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen“ von Emilie Autumn

Also bevor ich mit meiner Besprechung beginne, muss ich jetzt mal etwas loswerden, und zwar im positivsten Sinne: 

Was der Festa Verlag in der Produktion, in der inhaltlichen wie ästhetischen Konzeption seiner Titel leistet ist schlicht gewaltig. Ganz im Ernst: Neben dem Festa Verlag und dem Buchheim Verlag (der muss an dieser Stelle auch erwähnt werden), gibt es für mich persönlich keinen anderen Publisher im Game, der auch nur ansatzweise Ähnliches liefert, der so kundenorientiert arbeitet, den Nischenmarkt so clever, so konzentriert aufwertet, viele, viele amerikanische Autoren „einkauft“ und das Ganze in preiswerter Qualität ausgibt. Ach ja: Dann gibt es auch noch die unzähligen Vorzugs-, Sonder-, Sammler- und Jubiläumsausgaben, die den Puls der Leser in die Höhe treiben lassen.

Und genau so ein streng limitierter, exklusiver Druck kam kürzlich bei mir an: „Die Anstalt für ungehorsame viktorianische Mädchen“


Der Titel lässt kaum vermuten, womit man es eigentlich zu tun hat, bzw. in welche Richtung diese Erzählung laufen wird. 

Zunächst - ich gebe es gerne zu - war ich ziemlich skeptisch, etwas präsentiert zu bekommen, das meiner Meinung nach zu klischeehaft, stilisitsch zu platt, zu stupide daherkommt und sich zu bequem in die Thrillerschublade legen lässt. Nach Beenden des erste Kapitels, der Quasi-Pilotfolge, wurde ich eines Besseren belehrt und meine anfänglichen Zweifel wurden von Emilie Autumn in Windeseile zerhackt.


Was soll ich sagen? Dieses Buch hat mich einfach beeindruckt, zum Nachdenken gebracht, fasziniert, völlig schockiert und meine Sicht auf die Welt ein Stück weit verändert. Denn Emilie Autumn hat mit ihrer Konzeption ein komplett neuartiges Konstrukt geschafften, das teils biografische Elemente mit fiktiven Einheiten verbindet. Klar, das per se erfindet zwar das Rad nicht unbedingt neu, die Art und Weise aber, wie sie dieses Werk von Beginn an aufbaut, wie sie sich selbst als Protagonistin etabliert, wie sie viele unterschiedliche Inhalte zu einer Fakten-Fiktions-Mixtur kommuliert, ist schon erschreckend, aber auch mindestens genauso herausragend. (Außerdem wird der Text durch einige feine Bilder/Zeichnungen aufgepeppt und verleiht dem Leseerlebnis zusätzlichen Glanz.)


Ich muss gestehen: Es ist dieses Mal wirklich ganz, ganz schwierig zu erklären, welche Komponenten das Buch so besonders erscheinen lassen, aber es fühlt sich beim Lesen einfach richtig an. Man hat ständig das Gefühl, auf dieses eine Buch gewartet zu haben. Ein klassischer Fall von „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“.


Und noch etwas: Autumn hievt jede Menge essentielle Thematiken aufs Tablett, die sie über die (fiktive?! 🤷🏼‍♂️) Erzählebene abhandelt, eingehend durchleuchtet, und geht zudem auch noch mit sich selbst hart ins Gericht. Doch neben abgehandelten Psychosen und der Verarbeitung von vorgefallenen Machtmissbräuchen, überschatten zwei Fragen den gesamten Text: Warum müssen sich Frauen immer in eine derart untergeordnete gesellschaftliche Rolle pressen lassen? WANN werden Frauen endlich mal als Subjekte wahrgenommen und nicht als sexualisiertes Objekt abgestempelt?


„Neben Falschheit und Verrat gibt es noch zahlreiche Gründe, warum Ärzte, Familien oder die Gesellschaft im Allgemeinen denken könnten, eine Frau sei wahnsinnig. Wenn sie sich beispielsweise gegen eine arrangierte Hochzeit auflehnt. Wenn sie Unsicherheit in Bezug auf die nicht diskutable Mutterschaft äußert. Wenn sie nach der Geburt melancholisch wirkt (oder überhaupt jemals). Wenn sie nicht ausreichend Begeisterung für ihre Religion aufbringt. Wenn sie anderen Frauen allzu sehr zugeneigt ist. Wenn sie zu ausgelassen, zu wenig ausgelassen, ein wenig lästig oder schlicht »launisch« ist - jegliches Verhalten, das nicht in die unmöglich engen Standards unserer Zeit passt, wird sofort der Schwäche und Abartigkeit des weiblichen Geschlechts zugeschrieben.“


Schlussendlich wünsche ich mir, dass die Nachfrage dieses Titels so gewaltig ausfällt, sodass der Festa Verlag eine Paperback-Ausgabe nachschießen muss. Warum?

Weil ich der Meinung bin, dass ALLE in den Genuss kommen sollten, dieses großartige Buch lesen zu dürfen.


Inhaltsangabe:


Die Überdosis war kein Versehen. Emilie wollte sterben.
Gerettet, aber in der Hölle einer Psychiatrie gelandet, gibt es kein Entkommen. Ihr wird jede Kommunikation mit der Außenwelt verweigert.
Plötzlich findet Emilie die Briefe einer gewissen Emily – mit y –, die im viktorianischen England in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde.
Emilie verliert sich immer mehr in den Nachrichten aus der Vergangenheit. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn verschwimmt Brief für Brief.
Über die Zeit hinweg müssen die beiden Frauen gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen: ihre Ärzte.

Überzeugend und mit einem Hauch Fantastik schildert Gothic-Ausnahmekünstlerin Emilie Autumn ihre eigenen Erlebnisse.
Eine vernichtende Kritik an der Behandlung von Frauen durch die Gesellschaft und die psychiatrische Industrie. Die Autorin zeigt, dass sich im Laufe der Jahrhunderte wenig geändert hat.


Jack Ketchum: »Das Buch ist clever strukturiert, bietet gruselige Situationen und ein ergreifendes Ende. Legt euren Dickens für eine Weile beiseite und lest es.«


Andrea Loewy: »Dieses Buch lässt dich hinterfragen, wer gesund und wer verrückt ist ... und die Antwort ist nicht das, was du erwartest.«

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Kommentare: 1
  • #1

    Anji (Mittwoch, 26 Oktober 2022 07:19)

    Echt starkes Cover;)

    LG

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