Zu Beginn dieser Buchbesprechung möchte ich eine entwaffnende Ehrlichkeit walten lassen: Als ich - nach langer Vorfreudezeit - endlich den Erstling von Natt och Dag, den Trilogie-Auftakt in Händen hielt, war mir klar, dieses Buch werde ich bis ins Grab hinein lieben. Schon nach Beenden der ersten Kapiteln kam die knallharte Ernüchterung: Ich mochte diesen Text nicht besonders. Aus irgendeinem Grund fand ich überhaupt keinen Zugang zur Geschichte, sodass ich das Buch schweren Herzens zuklappte und in die ewigen Jagdgründe meines Bücherregals verbannte. Vorerst.
Es hat mir - wahrlich - monatelanges Sinnieren und Kopfzerbrechen gekostet, diesen Titel zwischen all den anderen Büchern verweilen zu lassen, ohne zu wissen, was Natt och Dag hier fabriziert hat. Die Pressestimmen überschlugen sich ja förmlich: „Die neueste Sensation…“ (The Sunday Times) „Meisterwerk“ (Arne Dahl)
Wirklich? Lag ich etwa so sehr daneben? Kann das sein? Zu schnell geurteilt?
Ich ging zum gefühlt 10.000sten Mal an besagter Stelle vorbei, zweifelte, überlegte, ob ich mir das Ding nochmal zur Brust nehmen sollte.
Gedacht, getan: Ich zog das gute Stück aus dem Regal, schlug es auf, versuchte es erneut, begann zu lesen, konnte nicht mehr aufhören und war…RESTLOS BEGEISTERT!
Lange Rede kurzer Sinn: „1793“ ungelesen und unkommentiert ins Regal zu verfrachten, war einer der - auf literarischer Ebene - größten Fehler, die ich mir bis dato geleistet habe.
Nach diesem - schlussendlichen - positiven Leseerlebnis dürfte es kaum verwunderlich sein, dass ich auch zum Folgeroman „1794“ gegriffen habe. Und was lässt sich darüber berichten? Hat Niklas Natt och Dag bei der Fortsetzung geschwächelt/gepatzt? Antwort: Überhaupt nicht!!! Ich persönlich fand den zweiten Band sogar noch eine Stufe besser, da den Protagonisten - meiner Meinung nach - viel mehr Raum zur Entwicklung eingeplant wurde.
Der Autor hat sich hier noch intensiver, noch strukturierter und letztendlich noch eingehender mit den Figuren beschäftigt.
Warum erzähle ich euch das, warum verharre ich bei den ersten beiden Titeln, wo es doch um den letzten und finalen Teil der Reihe gehen sollte. Ganz einfach: Weil ich euch nichts von der Geschichte vorwegnehmen möchte. Ich möchte euch die Vorfreude nicht verderben, möchte all jenen, die noch keinerlei Berührungspunkte mit Natt och Dag hatten, keine Spoiler aufs Tablett legen, kurzum: Ihr solltet befreit und unvoreingenommen in dieses Abenteuer starten, darum werde ich auf das „Grand Finale“ nicht eingehen. So viel kann ich euch aber verraten: Für mich beinhaltet diese Reihe den mit ABSTAND(!!!) interessantesten, eigenwilligsten und qualitiv hochwertigsten Stoff, den der skandinavische Krimimarkt bis dato hergegeben hat. Diese brutale, schonungslose, beinahe schon brachiale Gewalt, mit der Niklas Natt och Dag immer wieder arbeitet, dieses gekonnte Wechselspiel zwischen historischem Zeitportrait und strukturiertem Krimiplot ist einfach meisterlich. Und obwohl jedes Ding voluminös daherkommt und sich immer wieder - ganz bewusst - in Nebenhandlungen verstrickt, Charaktere in ihre Einzelteile zerhackt, habe ich jede Seite, jeden Strang - auch dank der vielen Knochenbrüche und „Gewaltorgien“, mit Hochgenuss verfolgt! Klar ist auch: Es wird bestimmt wieder abwertende, negative Stimmen geben, davon bin ich mehr als überzeugt (zu langatmig, uninteressant, langweilig, verliert sich, zu konfus im Aufbau, kein roter Faden,…), aber denkt dran: Einer dieser Kritikaster war ich selbst!
Abschließend noch zwei Passagen, die mir so unheimlich gut gefallen haben:
„Der Branntwein schwappt bis an den Rand des Abgrunds. Dass niemand weiß, was der
morgige Tag bringt, macht den heutigen Rausch nicht weniger dringlich, und dass der Untergang bevorsteht, schmälert
die Vergnügungen des Augenblicks nicht im Geringsten, im Gegenteil: Ursache und Wirkung sind außer Kraft gesetzt, und
obgleich der bleiche Tod unwillkommen sein mag, so winkt er doch mit der Tilgung aller Schulden. Wild und in verzweifel-
tem Frohsinn wird über schmutzstarrende Bretter getanzt, an den Spieltischen knistern bunte Scheine wie nie zuvor, atemberaubende Summen wechseln den Besitzer, und während der Wohlhabende mit einem Mal pleite ist, kann jener, der gestern
noch um ein Stück Brot gebettelt hat, heute eine Lokalrunde geben. Es ist, als hätte ein Fieber die Stadt erfasst.“
„[…] Unsere Daumenschrauben mögen altertümlich daherkommen, aber sie funktionieren noch, und mit
einem Tropfen Öl in den Scharnieren sind sie wieder wie neu. Wenn der Knochen erst knackt, singt selbst der Abgebrühteste
seine Arie molto vivace, um die Geißel so schnell wie nur möglich wieder loszuwerden. Natürlich lockern wir die Eisen gern,
um der Schreierei ein Ende zu setzen.
Doch was ist mit Ihnen?
Sie würde unser Herr Edman in den Gemäuern sitzen lassen und erst zur Jahrhundertwende vorbeikommen, um herauszufinden, ob Sie immer noch schreien.“
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