Rezension: "Grimme Stunden“ von Casey Cep

Damit sich der Umfang dieses Werkes vollends begreifen lässt, muss ich - auch wenn es mit dem eigentlichen Inhalt nichts zu tun hat - etwas weiter ausholen, tiefer ins Autorenleben eintauchen und Fakten zu Tage fördern, die - wie ich finde - untrennbar mit der Materie verbunden sind.


Wer war Harper Lee? Warum hat sie sich derart krampfhaft - 18 Jahre nach ihrem Weltbestseller - dieser Maxwell-Mordserie verschrieben? Warum saß sie damals auch im Gerichtsaal? Welche Spur hat sie genau verfolgt? Wieso hat sie es nicht geschafft, den Roman fertigzustellen? Wer ist Casey Cep und warum hat sie den Roman „komplettiert“? Und die alles entscheidende Frage: Halbfertiger, unausgegorener True-Crime Roman, oder exakte Fallstudie/punktgenaues Psychogramm eines brutalen Killers?


Nelle Harper Lee ist tot. (Sie wurde stolze 89 Jahre alt.) Amerikanerin. (Geboren und aufgewachsen in Alabama) Trägerin der Presidential Medal of Freedom, Gewinnerin des Pulitzer-Preises. Bestsellerautorin. („To Kill a Mockingbird“ hat sich über 40 Millionen mal verkauft!!!) Sie wusste schon immer ganz genau, wie man eine Erzählung strukturieren, wie man sie transportieren muss, um tiefliegende Nervenstränge bei der Leserschaft freizulegen. Sie wusste aber auch, wie man sich die charakteristischen Eigenschaften von Theatralik und Dramaturgie zu Nutze machen muss, um eine intensive, sehr gefühlvolle Geschichte erzählen zu können.

Den Blick stets auf die fein arrangierten Figurenkonstellationen, auf die gesellschaftlichen Aspekte, auf die zwischenmenschlichen Töne und auf die (inter)kulturellen Diversifikationen gerichtet.

Was ich allerdings nicht wusste: Da gab es eben auch jene Lee Harper, die auch mit der dunklen Seite des Menschen bestens vertraut war, die viel recherchierte, Zeit investierte, ein hohes Maß an Akribie an den Tag legte, um das Böse punktgenau zu analysieren, zu kategorisieren und schlussendlich an die Oberfläche zu zerren, dorthin, wo die gierige Öffentlichkeit bereits wartet.

Genau an diesem Punkt kommt nun Autorin Casey Cep ins Spiel, die Lees True-Crime-Fragmente aufgreift, sortiert und behutsam in den richtigen Kontext bringt. Das Ergebnis: „Grimme Stunden“.


Man darf sich aber keineswegs eine simple, oberflächliche, auf Spannung getrimmte Mörder-Geschichte erwarten, die wie ein hochspannender „Page-Turner“ daherkommt. Ganz im Gegenteil. Wer viel Wert auf strukturierte Detailtreue legt, die analytische Aufklärung komplexer Tathergänge liebt und die Beschaffenheit eines obduktiven, dokumentarischen Konzeptes, quasi einen klassischen Whydunut, zu schätzen weiß, der dürfte sich hier gut beraten fühlen. Außerdem gibt es in „Grimme Stunden“ viele Backgroundinfos, wie Harper Lee zu diesem Textmaterial gekommen ist, wie pedantisch sie sich dem Transport des Wahrheitsgehaltes verschrieben hat und wie dieser Roman im Ansatz seinen Weg zum Leser gefunden hat. Ergo: Für Freunde des gepflegten TrueCrime, ist diese - im positiven Sinne - etwas „schwerfällige“ Lektüre, DAS perfekte Lesefutter!


Inhaltsangabe:


„Eine großartige True-Crime-Story, die zu schreiben sogar Harper Lee stolz gemacht hätte.“ The New York Times Book Review 


Ende der Siebzigerjahre war es still geworden um Harper Lee. Ihr Welterfolg Wer die Nachtigall stört lag bereits 18 Jahre zurück, und der von Verlag und Publikum herbeigesehnte zweite Roman ließ noch immer auf sich warten. Aber jetzt war sie einem Stoff auf der Spur, etwas Großem. Der Prediger William Maxwell hatte innerhalb weniger Jahre zunächst seine Ehefrau, dann seinen Nachbar, dann seinen Bruder, dann seine zweite Ehefrau, dann seinen Neffen und schließlich die Adoptivtochter seiner dritten Ehefrau umgebracht, auf deren Beerdigung er selbst ermordet wurde. Lee recherchierte fieberhaft und war sogar bei dem Prozess gegen Maxwells Mörder im Gerichtssaal anwesend, doch ihr Roman sollte Fragment bleiben. Grimme Stunden erzählt die Geschichte, die Harper Lee in The Reverend hätte erzählen wollen, und zeichnet dabei zugleich das Porträt einer der berühmtesten Schriftstellerinnen Amerikas, von ihrem Kampf mit dem Ruhm, dem Erfolg und dem Mysterium künstlerischer Kreativität.

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