Hand aufs Herz: Ich habe in den letzten Jahren bereits einige TrueCrime-Titel gelesen, die ich schlichtweg grausam fand (All jene ausgenommen, die ich nicht gelesen habe und die mir unter dem Radar durchgerutscht sind!): Kein fundiertes Wissen. Zu belanglos. Langweilig. Monoton. Einheitsbrei. Wiederkehrend. Oft kopiert, nie erreicht. Zu wenig Kreativität in der Umsetzung. Zu wenig Unterhaltung. Fade. Blabla.
Doch dann hat sich mit dem ET von „Ich ging in die Dunkelheit“ ein grelles, wunderschönes Licht am Literatur-Horizont aufgetan, das ich am liebsten eingefangen und für immer bewahrt hätte. Aber jedes noch so gute Buch hat ja bekanntlich auch eine schlechte Seite,...und zwar die letzte.
Doch die Trauer über die ständig aufkeimende Abstinenz eines hervorragend konzipierten TrueCrime Buches währt nicht allzu lange: „Die roten Stellen“ - Maggie Nelson - absolut stark!
Danach: „Die Blutnacht von Manor Place“ - TOP!!!!! Jetzt kommts: Hätte ich gewusst, dass „THE FIVE“ von Hallie Rubenhold - in beinahe allen Belangen - so unfassbar gut ist und in meinem Gehirn einschlagen wird wie eine verdammte Bombe, dann hätte ich mich getrost zurücklehnen und auf den ET warten können. Hinterher ist man immer klüger...
Doch was macht „THE FIVE“ eigentlich so besonders? Die Abhandlung? Die Zeichnung der Charaktere? Das Schriftbild? Das Grundinteresse am Mysterium „Jack the Ripper“? Antwort: Ich würde sagen, es ist diese perfekte Mischung aus gefühlvoller Charakterzeichnung, Tatsachenbericht, Fallstudie, Nachbau atmosphärischer Szenenbilder und dieser gewissen Distanziertheit (gegenüber den Protagonisten), die ganz unbemerkt, subtil an der Oberfläche treibt.
Einerseits sind es die einzelnen, unabhängigen, aber doch irgendwie zusammengehörigen Versatzstücke der Erzählung, die atmosphärischen Komponenten, aber auch die Tragweiten der Tragödien, die sich im Hinterkopf festsetzen und der ganzen Sache Leben einhauchen. Andererseits (und das ist wahrscheinlich die tragendere Komponente) ist es das impulsive, forsche Herantreten der Autorin an eine blasse, ständig unterdrückte weibliche Geselschaftsschicht, das lediglich dazu beitragen soll, die Leidtragenden ans Tageslicht zu fördern, ihnen Gehör zu verschaffen und den üblen Kern - nämlich das Gesicht und die Präsenz des medial ausgeschlachteten Mörders - zu schwärzen.
Und obwohl Rubenhold die „staubtrockenen“ Lebensgeschichten von Mary Ann „Polly“ Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly bis ins kleinste Detail beleuchtet und aus dem - wie sie es selbt nennt - Schatten der Anonymität holt, so bleiben sie dennoch ein höchst interessantes, rätselhaftes Fragment einer düsteren Zeit, die ganz klar von Gewalt und Machtmissbrauch dominiert wurde.
Zurecht fragt man sich: „Warum hat es 130 Jahre gedauert, bis ein Buch erschien, das die Geschichten der Frauen erzählt?“ (The Guardian)
Fazit:
Wer war Jack the Ripper? Was steckt hinter dieser gewalttätigen, hassgetränkten Maskerade? Und was hat ihn zu diesen grausamen Morden bewegt? Fragen, denen Hallie Rubenhold - GOTT SEI DANK - NICHT auf den Grund geht, denn sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Stories der ermordeten Frauen an die Oberfläche zu holen. Zurecht!!!Denn sie sind schließlich die tragischen, in Vergessenheit geratenen Figuren in diesem bis heute unerklärlichen Spiel.
Ihre Lebensgeschichten sind es, die es verdient haben, erwähnt und auf Papier gebannt zu werden. Definitiv.
Und das tut die Autorin mit hemmungsloser Leidenschaft, mit einem wachsamen Auge für die leisen Zwischentöne, kümmert sich - in literarischer Hinsicht - aufopferungsvoll um ihre Protagonisten, setzt Kritikern damit die Daumenschraube an und lässt außerdem das bestmögliche Feingefühl für Setting und Atmosphäre durchscheinen, stets mit dem Hang zur Detailverliebtheit.
Genau so soll das sein!
Genau so liebe ich das!
Inhaltsangabe:
#saytheirnames: Polly, Annie, Elizabeth, Catherine und Mary-Jane Diese fünf Frauen wurden 1888 ermordet. Ihr Tod und noch mehr ihr Leben haben damals kaum jemanden interessiert. Hingegen wurde der unbekannte Täter, dem die Presse den Namen Jack the Ripper gab, mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Hallie Rubenhold befreit die fünf ermordeten Frauen aus dem Schatten der Anonymität. In ihren Lebensgeschichten wird eindringlich deutlich, wie hart das Leben als Frau in der Arbeiterschicht zu jener Zeit war und wie katastrophal die Zustände im Armenhaus waren. Und vor allem, wie erbarmungslos die von der viktorianischen Moral geprägte Gesellschaft auf jede Frau blickte, die das ihr zugedachte Konzept der braven Ehefrau und Mutter hinter sich ließ. Hallie Rubenhold bietet in ihrem Buch neue Einsichten und stützt sich auf bisher ungesehenes oder unveröffentlichtes Material, wobei der Schwerpunkt erstmals ausschließlich auf den Frauen und nicht auf ihrem Mörder liegt.
»Ein wichtiges und zugleich wütendes Werk, das die Misogynie, die den Ruhm des Ripper-Mythos von Anfang an nährte, aufdeckt und als überholt entlarvt. Kraftvoll und beschämend.« The Guardian
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