Rezension: "Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ von Jane Healey

Wir schreiben das Jahr 1939: Die Welt ist im Wandel, Bombenangriffe verwüsten bald ganze Landstriche, (Ehe-)Männer und Väter winkt der sichere Tod an der Front, Daheimgebliebene müssen sich verbarrikadieren,...der zweite Weltkrieg steht vor der Tür.

Etwas Abseits dieser Geschehnisse treffen wir die überaus sympathische, und zugleich bedauernswerte (aufgrund des etwas schwerfälligen Leidensweges) Kuratorin Hetty Cartwright, deren Aufagbe es sein wird, höchst empfindliche, werthaltige Tier-Exponate aus dem Natural History Museum ins Lockwood Haus umzusiedeln, um sie so vor der drohenden Gefahr zu bewahren.

Für Hetty ist es DIE perfekte Chance, sich in einer etwas untypischen Führungsrolle zu beweisen, sich zu etablieren, und dem noch immer festgefahrenen Frauenbild eine Bedeutung, eine längst überfällige Angemessenheit zu verleihen.

Gar nicht mal so einfach, wenn man bedenkt, dass sich in den verwinkelten Gängen von Lockwood Manor Surreales abspielt, paranormale Aktivitäten herrschen, nächtliche Geräusche laut werden und sogar Exponate zum Leben erwecken. 


Jane Healey hat mit „Die stummen Wächter von Lockwood Manor“ eine wahrlich geistreiche, - im positiven Sinne - sonderbare Geschichte kreiert, die viele (Sub-)Genres bedient, interessante Charaktere beherbergt, eine mehr als vorzeigbare, atmosphärische Location zu bieten hat und sich auch inhaltlich, wie stilistisch vom strukturierten Mainstream abhebt.


Eine Sache darf man in Bezug auf die Autorin positiv unterstreichen: Sie weiß definitiv wovon sie schreibt. Klar, wir haben es zwar mit einer fiktiven Erzählung zu tun, das Basiswissen steuert sie dennoch bei. Warum? Weil sie a) ein absolviertes Studium in „Kreatives Schreiben“ besitzt, und b) ihre Abschlussarbeit über paranormale Phänomene in Jane Eyre geschrieben hat.


Ein weiterer wesentlicher Aspekt der Handlung hat sich mir im Laufe der Geschichte erschlossen: Und zwar die Moral.

Denn Healey war es hier enorm wichtig darzustellen, dass klar definierte Geschlechterrollen in Krisenzeiten (aber auch im Übrigen) keine Notwendigkeit besitzen, feine Ansätze von feministischen Grundzügen an die Oberfläche gebracht werden, materielle Dinge - mit jedem erbrachten Opfer - deutlich an Wert verlieren, der Nostalgie der Freiheit jedoch, eine erhebliche Bedeutung beizumessen ist. So lässt sich das Verschwinden von Exponaten, der krampfhafte Befreiungsschlag der Protagonistin, sowie der immer wieder kehrende (paranormale) Ausbruch aus der Normalität mit diesen Assoziationen in Verbindung bringen.


Was Jane Healey - neben der sprachlichen Herausforderung - außerdem bravourös gemeistert hat, ist der höchst sensible Drahtseilakt zwischen Ghoststory und ernstzunehmendem Familiendrama.

Bringt man diese Balance jedoch aus dem Gleichgewicht, wirkt das ganze Konzept plötzlich falsch, kaputt, unausgegoren und leblos. Healey hat der Textur aber die stilistische Daumenschraube angesetzt und eine kraftvolle Erzählung aufs Tablett gezaubert, die sich entgegen der Mainstream-Norm, Richtung Drama bewegt. Charmant. Geheimnisvoll. Tiefgründig.


Inhaltsangabe:


1939. Hetty Cartwright muss eine Sammlung des Londoner Natural History Museum vor dem heraufziehenden Krieg in Sicherheit bringen – ins verfallene Herrenhaus Lockwood Manor.


Doch das Haus wirkt auf Hetty wie verflucht: Ihre geliebten Exponate, der ausgestopfte Panther, die Kolibris und der Eisbär, verschwinden, werden zerstört und scheinen nachts umherzuwandern. Zusammen mit der Tochter des tyrannischen Hausherrn, Lucy Lockwood, versucht Hetty, die nächtlichen Geschehnisse zu ergründen, und bringt ein tragisches Geheimnis ans Licht.

Eine fesselnde und betörende Geschichte über eine große Liebe und den Wahnsinn einer Familie, ihre lang vergrabenen Geheimnisse und versteckten Sehnsüchte.

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