Rezension: "Marianengraben“ von Jasmin Schreiber

Jede meiner Rezensionen dreht sich - neben vielen weiteren Einflussfaktoren - um die Wichtigkeit der Authentizität der Erzählung per se, aber auch um die spürbare Echtheit der Charaktere. Wie essentiell es ist, einem Protagonisten Farbe zu verpassen, ihn aus der blassen Senke zu holen, ihm Tiefgang zu verleihen. Wir analysieren die Tragweite der Notwendigkeit, ihm eine passende Rolle, ein Leben, eine ernstgemeinte Vergangenheit einzuverleiben. Wir reden ständig davon, wie unabdingbar es ist, der Figur eine glaubwürdige Weiterentwicklung anzudichten, wie schwierig es sein kann, ihr Gemüt bei Laune zu halten, sie so transparent darzustellen, um sie einerseits dem Leser sichtbar zu machen, andererseits nicht ganz ohne Visier herumlaufen zu lassen. Wir sind so sehr damit beschäftigt, Grenzen abzutasten, Normen einzufordern, Fehler zu eruieren, doch vergessen dabei - vollkommen - auf die wahrscheinlich wichtigste Komponente einer Erzählung: Die Gefühlsebene. Den Teil, der oben Genanntes in Reize verwandelt, der berührt, fasziniert, erschreckt, schockiert. Ohne diese Ebene, wäre jede einzelne Buchseite ein klarer Fall für die Mülltonne.


Was hat das mit Jasmin Schreiber zu tun?


Ganz einfach: Die Autorin lässt in ihrem Debüt - „Marianengraben“ - eine prägnante Protagonistin ans Werk gehen, die eine Geschichte vorzuweisen hat, die völlig ungeschliffene Ecken und Kanten besitzt, die alles andere als perfekt zu sein scheint und Sympathie stets vermissen lässt. Sie ist verzweifelt, naiv, gutgläubig, verletzlich, depressiv. Doch sie ist auch warmherzig, menschlich, liebenswert, aber auch ganz schön bewundernswert, bedenke man den schwierigen Leidensweg, den Schreiber für sie vorgesehen hat. Genau DAS macht sie besonders, genau DAS lässt sie außergewöhnlich erscheinen, genau DAS hebt sie klar von der Masse ab!

Um dem Ganzen dann noch die literarische Krone aufzusetzen, hat sich Schreiber einer höchst wundersamen, selten auftretenden Monologführung bedient. So lässt sie die Protagonistin (stellenweise) im Dativ kommunizieren und verschärft dadurch den Tiefgang der Figuren zueinander.

Mutig, denn aufgrund des Seltenheitswertes dieser Ausprägung, ist der Leser gefordert umzudenken (schließlich ist diese Art des Storytellings recht ungewöhlich) und dies könnte eventuell zu Kritik führen. Mir persönlich hat dieses belebende Konzept jedoch gut gefallen .


Aber nicht nur auf Seiten der Charakterzeichnung hat Schreiber Gutes getan, auch die Story wirkt fein konzipiert, bedacht erzählt, subtil vorangetrieben und funktioniert - auf ihre ganz persönliche, dramaturgische, in Melancholie getränkten Art und Weise - ganz hervorragend.

So sind es einschneidene Erlebnisse, viele bunte Kehrtwendungen, jede Menge Gabelungen, die der Geschichte einen gewissen Charme verleihen.

Und obwohl dem Ganzen eine höchst traurige Grundessenz vorangestellt wurde, so hat man die doppeldeutige, humorvolle, beinahe lächerliche Seite des Lebens (und Sterbens) keinesfalls außer Acht gelassen. Im Gegenteil: Sie wird zum Leidwesen der Beteiligten, aber auch zur Freude der Leserschaft, in diese chaotische Welt miteingebunden, ganz im Stile einer bemühten Schriftstellerin.


Inhaltsangabe:


Paula braucht nicht viel zum Leben: ihre Wohnung, ein bisschen Geld für Essen und ihren kleinen Bruder Tim, den sie mehr liebt als alles auf der Welt. Doch dann geschieht ein schrecklicher Unfall, der sie in eine tiefe Depression stürzt. Erst die Begegnung mit Helmut, einem schrulligen alten Herrn, erweckt wieder Lebenswillen in ihr. Und schließlich begibt Paula sich zusammen mit Helmut auf eine abenteuerliche Reise, die sie beide zu sich selbst zurückbringt - auf die eine oder andere Weise.


Pressestimmen:


»Es wird gestorben, viel gelacht und viel geweint. Quasi wie im EU-Parlament, nur viel schöner. Lest alle dieses Buch!« (Nico Semsrott)


»Eigentlich kann man gar kein Buch schreiben, das vom Sterben handelt, gleichzeitig sehr lustig und tieftraurig ist, sich aber anfühlt wie ein Roadmovie. Wie gesagt: eigentlich!« (Sascha Lobo)


»Ein Buch, das Geborgenheit bietet und Hoffnung schenkt« (Yasmina Banaszczuk)

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