Rezension: "Eisfuchs“ von Tanya Tagaq

Um den Stein gleich zu Beginn ins Rollen zu bringen, verzichte ich dieses Mal auf eine ausführliche Einleitung samt Autorenportrait, genieße die Unvoreingenommenheit, da mir die liebe Tanya Tagaq überhaupt nicht bekannt war/ist, und komme daher direkt zum wesentlichen Punkt:


„Eisfuchs“ dürfte neben George Saunders „Fuchs 8“ und „Tief im Land“ (Neil Ansell), einer der wohl stilistisch eingewilligsten, seltsamsten, in seiner Vielfalt (gekonnt mehrere Genres miteinander zu verbinden) und seiner Kompaktheit (sehr strukturiert, bodenständig, auf positive Weise auch reglementiert aufzutreten) auffälligsten Titel sein, den ich bis dato auf meinem Tisch liegen hatte.


Es sind diese grundverschiedenen, abwechslungsreichen Darstellungen einer trostlosen, kalten und dennoch harmonischen Welt, die sich zu einem gesellschaftlichen Sittenbild zusammenbauen, das mir nicht nur überaus fremd, sondern im Wesentlichen auch distanziert, beinahe unnahbar vorkommt.

Überaus schwierig scheint es, die Art und Weise dieses Konzeptes darzustellen, liegt es doch an der bereits erwähnten Diversifikation von Stil, Aufbau, Erzählweise und Charakterzeichnung.


Genau diese hervorragend gezeichnete, fast malerische, poetry-slam-artige Kombination aus botanischem, aber auch animalischem Naturschauspiel, Mythologie, Genrebild, „Coming-of-Age Story“ und brutaler Gesellschaftsdramaturgie, die ihr stilistisches Eigenleben führt, kulturelle Aspekte vorweist und ihre innewohnende Traurigkeit/Trostlosigkeit (über weite Strecken dominiert) nach außen transportiert, lassen Tagaqs Debütroman zu einem gewalttätigen Eigenbrötler mutieren, der von bewährtem Mainstreamverhalten - ganz offensichtlich - die Schnauze voll hat.


Ein weiterer Ausläufer dieser oben genannten Eigenkreation dürfte die höchst intensive, mehr als erwähnenswerte Ausprägung der atmosphärischen Ebene sein, die stets präsent ist, egal welch grausame Abzweigung die Autorin auch einschlägt. Doch all der harmonischen, ästhetischen Aufbereitung, liegt - im innersten Kern -, eine grobe Art der physischen, wie psychischen Brutaltität zugrunde, die notwendig zu sein scheint, um der Leserschaft die rauen Lebensbedingungen der Charaktere ans Herz legen zu können.

Ja, ich bin wahrlich fasziniert von dieser kompromisslos ehrlichen Darstellung einer mir völlig fremden, kargen Welt.

Lässt man all den optischen/illustrativen Einfluss beiseite, so wird man schnell erkennen, dass dieser Debütstreich von Tanya Tagaq, pure Sinnlichkeit, wahrhaftige Authentizität, aber auch schonungslose Gewalttätigkeit verkörpert. Mit jeder Faser. Zu jeder Zeit.


Klare Empfehlung!


Inhaltsangabe:


Ein Städtchen am Rande des Eismeers im Norden Kanadas. Eine Kindheit, geprägt von der übermächtigen Natur und einem sich auflösenden Zusammenhalt. Ein mutiges Mädchen, das die alten Mythen entdeckt und erwachsen wird. Tanya Tagaq erzählt poetisch, sinnlich, mit großer Kraft.

Der Winter ist vorbei und damit die Zeit, die die Kinder im Haus verbringen müssen, weil es draußen bitterkalt ist, hoch im Norden Kanadas, am Rande des Eismeers. Im Frühling haben die Kinder das Städtchen in der Hand, streunen auf der Suche nach Abenteuern durch die Straßen und durch die Tundra. Nach so wilden Abenteuern, dass sie dabei sogar das Leben riskieren. Die Erwachsenen sind mit eigenen Problemen beschäftigt und können keinen Halt bieten. Im Gegenteil.

Tanya Tagaq erzählt in diesem atemberaubenden Debüt von der Kindheit und Jugend eines Mädchens in der Arktis: von einer übermächtigen Natur, von den allgegenwärtigen Füchsen, den majestätischen Polarbären und den Mythen der Inuit. Unter den furchterregenden und verzaubernden Polarlichtern verschwimmen für das Mädchen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, Zeit und Raum, und sie begibt sich auf eine verstörend sinnliche Selbstsuche, um die Wunden zu heilen, an denen in einer sich auflösenden Gemeinschaft alle tragen.


Pressestimmen:


"Tagaq überträgt die endlose Schönheit, Intensität und Trostlosigkeit der Arktis in eine aufwühlende, moderne Erzählung mythologischen Ausmaßes."

(The New Yorker)


"Tagaq arbeitet mit zahlreichen Vignetten – also mit Kürzesttexten -, um die physische und spirituelle Welt zu fassen, die das Mädchen umgibt. Teile des oft collagenhaft anmutenden Textes hat die Autorin aus ihren Traumtagebüchern und Notizbüchern zusammengestellt, und die luziden, flirrenden Bilder zeichnen Erfahrungen an der Grenze zwischen Realität und emotionaler Innenwelt."

(Meike Stein, SR2 Kulturradio)


"Traumsequenzen und Passagen, die Magie beschreiben, durchweben diesen Debütroman, der somit fantastische Züge erhält. Anfangs fremd, befremdlich, düster und grausam, entwickelt Tagaqs poetisch-sinnliches Schreiben einen Sog, der bis zum Ende anhält." (Karoline Pilcz, Buchkultur)


"Die Natur ist in diesem Buch das Göttliche schlechthin. Tagaq schildert sie als große Kraft und Attraktion. Die Menschheit wäre gut beraten, so ließe sich das Tundra-Kaleidoskop lesen, diese Natur in größtmöglichem Frieden zu lassen. Aber wann folgt die Menschheit schon einem guten Rat? ‚Eisfuchs‘ schlägt mit einer Mischung aus Alltagsbrutalität, Naturpoesie und Mystik einen unvertrauten Ton an. Der klingt verlockend bizarr. Ein Prosa-Debüt, das den Blick weitet." (Martin Oehlen, Frankfurter Rundschau)


"Die Autorin erschafft außergewöhnlich starke Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen, von obigen wortreichen Beschreibungen hin zu kleinsten Details, welche die Stärken von autobiografischen Hintergründen offenbaren. […] Tagaq malt, nein, skizziert vielmehr mit ihren kurzen Textfragmenten eine derart eindringliche Stimmung, dass sie förmlich spürbar ist." (Katharina Hoppe, Gassenhauer Literaturblog)


"In dieser kraftvollen Geschichte einer Kindheit am Ufer des Eismeers sucht ein mutiges Mädchen in der Vergangenheit ihres Volkes nach einer Zukunft für die nächste Generation. (...) Die Autorin, selbst eine Inuit und als Sängerin über die Grenzen Kanadas hinaus bekannt, wechselt in diesem beeindruckenden Debüt von poetischer in zuweilen rasiermesserscharfe Sprache." (kommbuch)


"Ein Roman von urtümlicher Kraft, berührender Ehrlichkeit und sprachlicher Schönheit."

(Gute Bücher lesen mit Susanne Rikl)


"'Eisfuchs' ist [Tanya Tagaqs] belletristisches Debüt und ist fast schon ein modernes, schamanisches Märchen. Es ist magischer Realismus. […] Ein Buch voller Bilder, die befremden, Rätsel aufgeben und berauschen. Naturpoesie und Lyrik tauchen immer wieder im Text auf und schaffen ein bewegendes Leseerlebnis der besonderen Art."

(Hauke Harder, Leseschatz)

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