Ja, ich weiß: Nervige Nachbarn sind der absolute Horrorklassiker! Sie sind rücksichtslose Kreaturen, die spätnachts einen höllischen Lärm veranstalten, herumtrampeln, lauthals schreien, streiten, Musik hören, Nägel in die Wand knallen, uncharmante Paarungsgeräusche von sich geben, die dich im Flur abpassen, um dich mit ihren uninteressanten Problemen zu Tode zu nerven, die dich von ihrem Fenster aus - zu jeder erdenklichen Tageszeit - beobachten, dich zurechtweisen, wenn du falsch geparkst hast, dich belehren, wenn du den Müll falsch getrennt hast und dich mit krassen, nutzlosen Infos über den Zustand anderer Nachbarn aufklären. Aber jetzt mal ehrlich: Muss man dann gleich bei der ersten Gelegenheit nach oben gehen und den lärmenden „Mitbewohner“ kaltblütig ermorden? Muss das sein? Patrícia Melo hat hierzu eine ganz klare Meinung. JA, das muss sein! Sofort! Und so lässt sie ihren Protagonisten auf einen Widersacher treffen, der aus - mehr oder weniger - unerklärlichen Gründen zum Scheitern, quasi zum Tode verurteilt wurde. Es entwickelt sich im Laufe der Geschichte eine - zuerst harmlose, dann brutal körperlich werdende - Fehde, die geprägt ist durch gegenseitige, lautlose Hetzkampagnen, Stichelein, angepinkelte Türmatten, aufgeschlitze Autoreifen, getötete Katzen; all dies genährt durch die eigene Unzufriedenheit im Berufs-, sowie Privatleben. Gehässigkeiten schlagen um sich, wie ein tötlicher Cocktail, der den eigenen Blutkreislauf so sehr in Wallungen bringt, dass es am Ende nur eine Konsequenz geben kann: Mord. Zurecht, oder eben unzurecht! (Doch wer hat den verdammt lästigen Nachbar auf dem Gewissen? Und wer ist froh darüber, dass der gehässige und provozierende Lärmmacher bald tief unter der Erde liegen wird?)
Es gibt Nachbarschaftskonflikte, die offenherzig ausgetragen werden und es gibt Streitigkeiten, die still und heimlich vonstatten gehen,...die jäh in einem Mordanschlag enden. Patrícia Melo hat diese moralverachtende Variante ausgewählt und ein literarisches Feuerwerk daraus gemacht, denn eines darf man sich hier erwarten: Eine richtig starke, stilvolle Ausführung. Gleich zu Beginn wird man von der Fabulierkunst der Autorin in den Bann gezogen, diese hält sich konstant und lässt sehr häufig auf ihr großartiges schriftstellerisches Talent schließen. Und obwohl man immer wieder mal skeptisch mit den Augen rollt, weil Patrícia Melo stets knapp an der Unglaubwürdigkeit vorbeischlittert, muss man ihr in Summe ein großes Lob aussprechen, denn: Sie hält das Volumen der Erzählung mit 150 Buchseiten knapp, bleibt am Ball, verliert sich nicht im Schwadronieren und transportiert auf diese kurze Distanz, relativ viel an Inhalt.
Zusammenfassend kann man also festhalten: Patrícia Melo hat es geschafft! Sie hat DAS Nachbarn-verachtende Buch geschrieben, nachdem sich die Bevölkerung - völlig ungeahnt - gesehnt hat. Es ist böse, hasserfüllt, teils sogar humorvoll. Bleibt die Logikbrille in der Schublade liegen und lässt man sich vom Schriftbild der Autorin leiten, so wird man mit „Der Nachbar“ durchaus gut unterhalten.
Inhaltsangabe:
Ein störender Nachbar. Eine nicht zu beseitigende Leiche. Das Monster in jedem von uns. In Patrícia Melos neuem Krimi entwickelt ein häusliches Drama apokalyptische Dimensionen.
In São Paulo fühlt sich ein Biologielehrer gestört von seinem Nachbarn. Permanent dringen Geräusche durch die Decke, zu jeder Uhrzeit, sei es, weil Ygor Upsilon kocht, herumläuft oder Besuch hat. Immer stärker steigert sich der Erzähler in eine unkontrollierbar werdende Wut. Er beginnt, den Nachbarn zu verfolgen, bricht bei ihm ein und findet sich plötzlich mit seiner Leiche wieder. Verschanzt in der Wohnung stellt er sich die Frage: Was tun mit dem grausigen Beweisstück – und was tun mit dem eigenen Leben?
Pressestimmen:
»Psychologisch zeigt Melo eindrücklich, wie Monstrosität im Alltäglichen stecken kann.«
Arno Renggli, St. Galler Tageblatt, 16.11.2018
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