Rezension: "Mörderinnen“ von Veikko Bartel

Veikko Bartel arbeitete von 1996 bis 2011 als Rechtsanwalt , ab 1998 als Strafverteidiger. In über 30 Tötungsdelikten stand er in dieser Funktion vor Gericht. Für ihn stand im Zentrum: Man verteidigt den Menschen. Nicht die Tat. Heute ist er Dozent für Steuerrecht. Er kennt die Rechtsgrundlage wie seine Westentasche, kennt die Grausamkeiten die uns im Leben wiederfahren können, kennt die Realität des Verbrechens. Schlichtweg: Er weiß wovon er erzählen muss. 

Genau diese unbestreitbare Grundlage lässt sein Debüt „Mörderinnen“ zu einem beinharten Tatsachenbericht avancieren, der sich fernab jeglicher Fiktion aus der Masse hervorhebt. Er ist auf schockierende Weise ehrlich, direkt, dokumentarisch, unfassbar nah am Geschehen dran, und zeigt zudem, wie unberechenbar das Individuum Mensch sein kann. Stark definiert durch negative Reize, Erlebnisse, Schicksalsschläge und einer stark ausgeprägten Form der Selbstverleugnung.


Nach einem intensiven Vorwort, gliedert sich der Inhalt in vier unterschiedliche Fälle. Vier Frauentypen, die die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leser erregen werden:


1. Die Kindsmörderin


2. Die Gattenmörderin


3. Die Sadistin


4. Die Giftmörderin


Sie alle haben neben der Tatsache, einen Mord begangen und Menschen auf dem Gewissen zu haben, noch etwas essenzielles gemeinsam: Sie alle lassen sich durch dieselbe Person vereinen, sie klammern sich an den selben Strohhalm, sie teilen sich den selben Verteidiger: Veikko Bartel


Jetzt mal ehrlich Leute: Mehr Reality, mehr True-Crime geht doch nicht, oder?!


Aber nicht nur der Inhalt ist an Realismus und Authentizität nicht zu übertreffen, auch schriftstellerisch hat dieser Text so einiges zu bieten. So bringt Bartel vom Tathergang bis zur Verurteilung alles fein säuberlich zu Papier, gibt den Angeklagten erneut eine Stimme und rechtfertigt die Tat, indem er den Leser auf das Wesentliche eines Mordfalls aufmerksam macht: Das Motiv.


Kein Wunder, dass bereits eifrig an einer „Fortsetzung“ gearbeitet wird.


Fazit:


Warum töten Menschen? Kann man gegenüber diesen verurteilten Personen Gnade walten lassen? Darf man Mitgefühl, oder gar Verständnis für die Täter zeigen? Oder müssen diese Gefühle von Hass und Abscheu überlagert werden?

Genau diese Fragen versucht Autor Veikko Bartel in seinem Debüt zu erörtern und zu verarbeiten.

„Mörderinnen“ ist eine Studie des Verbrechens, ein Tatsachenbericht, eine bildliche Dokumentation, eine Biografie der Schuld, in der sich alles um eine zentrale - vom Autor getätigte - Aussage zu drehen scheint: „Niemand wird als Mörder geboren“.


Veikko Bartel pflegt zu sagen: „ Es sind keine Kriminalgeschichten der klassischen Art, keine Prozessgeschichten und schon gar keine wissenschaftlich fundierten Abhandlungen forensisch-psychiatrischen oder kriminologischen Charakters. Es ist meine ureigene, subjektive Sicht auf die Lebensgeschichten dieser Menschen, die auch gar keinen Anspruch auf Objektivität erhebt.“


So unterschiedlich die Fälle, so verschieden meine Mandanten in Alter, Motiven, Lebensläufen waren, auf welchem Wege sie wem das Leben nahmen, eine Erkenntnis ist allumfassend: Jeder Mensch kann töten. Und er wird es tun, kommt er nur an eine ganz bestimmte Grenze.“


Ich danke Veikko Bartel für diesen schockierenden Einblick in seinen ganz persönlichen Berufsalltags-Horror, in dem es von Tätern und Opfern (in jeglicher Hinsicht) augenscheinlich nur so wimmelt. Außerdem muss ich seinen Schreibstil deutlich hervorheben. Ganz wunderbare, unaufgeregte Schreibe, die runtergeht wie Öl und hinterher verdammt unangenehm aufstößt.

So nah war noch keiner am Geschehen dran, so charmant hat mir persönlich nach niemand den Strafprozess verklickert.

Elendslange Vergleiche mit Ferdinand von Schirach habe ich in dieser Buchbesprechung absichtlich ausgespart. Ich will wirklich niemandem zu nahe treten, aber Schirachs Kurzgeschichten wirken wie lapidare Kindermärchen, gegenüber Bartels Ausführungen. Für mich gibt es ab heute nichts mehr zu diskutieren. Veikko Bartel läuft momentan noch als Geheimtipp, spielt für mich aber ist einer eigenen Liga!


Ich spreche hiermit eine ganz klare Leseempfehlung aus!


Inhaltsangabe:


Warum töten Menschen? Was lässt sie diese letzte Grenze überschreiten? In über 30 Tötungsdelikten hat Veikko Bartel schon vor Gericht verteidigt, in »Mörderinnen« erzählt er die vier spektakulärsten, anrührendsten, grausamsten Fälle: die Kindsmörderin, die Sadistin, die Gattenmörderin, die Giftmörderin. Er schildert die Hintergründe, die hasserfüllten Reaktionen der Öffentlichkeit und die biographischen Tragödien, die sich hinter den Taten verbergen, den Zynismus und die Resignation der Justizbehörden. Sein Buch stellt die Frage nach Gerechtigkeit und zeigt mit jedem Fall: Die Realität ist spannender als jeder Krimi.

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