Eines muss ich vorab klarstellen: Ich bin nicht gerade der allergrößte Fan von Erzählbänden.
Warum?
1. Viele Leser erfreuen sich an der Vielfalt, unterschiedlicher Handlungen. Ich hingegen finde es oft mühsam und nervenaufreibend, nach nur 10/15 Seiten erneut von vorne beginnen und in eine neue Erzählung einsteigen zu müssen.
2. Es wäre zudem wünschenswert, wenn die Storys untereinander Bezug nehmen und voneinander profitieren würden. Da dies selten der Fall ist, fehlt mir dann doch der sogenannte „rote Faden“, der den Leser emotional an das Geschriebene binden kann.
3. Das Volumen der einzelnen Geschichten ist so reduziert, dass die Positionierung, sowie die Weiterentwicklung der Protagonisten - oft - einen erheblichen Schaden nimmt.
ABER: Was Stefan aus dem Siepen mit diesen 11 Erzählungen - inhaltlich, aber vor allem literarisch - veranstaltet, ist unfassbar. Hier sitzt nicht nur jedes Wort an der richtigen Platzierung, sondern ist zudem auch noch klug ausgewählt, in passender Form eingesetzt,...sodass am Ende jedes Satzes, beim Leser, ein staunendes „WOW“ übrigbleiben sollte. Und obwohl die Elemente aus den einzelnen Kapiteln kaum etwas gemein haben, die Themenschwerpunkte die vom Autor behandelt werden nicht immer das gewünschte Interesse erzeugen und hochhalten, hat der Inhalt dennoch extrem viel Charme. Durch diesen sprachlich feingeschliffenen Background gelingt es dem Autor wahnsinnig gut, seine Leserschaft abzuholen, sie durch die etwas detailiert beschriebenen Phasen zu tragen und am Ende der Interpretation zu überlassen.
Man wird also Zeuge eines fein komponierten Baukastensystems, indem der Autor solange Stein auf Stein setzt, wohlüberlegte, poetische Eindrücke aneinanderreiht, bis schlussendlich ein stimmiges Gesamtwerk entsteht. Muss man auf diese kurze Distanz erst einmal hinbekommen.
Fazit:
Stefan aus dem Siepen vermag es, die leisen Zwischentöne des Erfolges, des Scheiterns, der Vorfreude, der Missgunst, der Begabung, der Bewunderung, der Verachtung, des Lebens so gekonnt einzufangen und spielerisch, ja fast malerisch darzustellen, dass man als Leser am liebsten in Beifall ausbrechen würde.
Man könnte meinen: Er ist ein sprachverliebter Virtuose, der selbstironische Phrasen zu schätzen weiß, diese gut und gerne mal in poetische Kleider steckt, ohne sie dabei aber lächerlich aussehen zu lassen. Ich würde sagen, der gute Mann versteht das technische Handwerk des Schreibens bis ins kleinste Detail.
Auszug:
„Wer den Mann mit den zwei Daumen je erlebt hatte (oder den ‚Daumen-Mann‘, wie er, um der leichteren Sprechbarkeit willen, zumeist genannt wurde), bewahrte in der Erinnerung für immer jene gesteigerte, sozusagen festliche Empfindung, die der Anblick des Einmaligen erzeugt.“
Mit diesem wunderbaren Zitat schließe ich die Beweisaufnahme und spreche „den Käfersammler“ schuldig im Sinne der Großartigkeit!
Soll heißen: Für all jene, die sprachlich ambitionierte Texte zu schätzen wissen, bzw. das Stilmittel des Autors über die Spannungskomponente zu stellen wissen, denen sei diese Anthologie wärmstens ans Herz zu legen.
Inhaltsangabe:
Unzeitgemäße Erzählungen
Schrecken und Zauber der Vergänglichkeit
Artisten, Eigenbrötler, Hochbegabte – die Helden von Stefan aus dem Siepen verfolgen außergewöhnliche Passionen, die nicht selten ihre eigene Existenz bedrohen. Das Leben eines Käfersammlers wird in Frage gestellt als er erkennt, dass er sich trotz all seiner Ordnung und Akribie der Vergänglichkeit nicht entziehen kann. Arturo, der große Entfesslungskünstler, erringt seinen größten Sieg: Er schafft es, sich selbst unauflösbar zu fesseln. Und nie hat es wohl einen Mann gegeben wie das Genie Näglinger: trotz seiner herausragenden Fähigkeiten vermag er einfach nicht berühmt zu werden. In seinen Erzählungen, Legenden und Märchen verblüfft Stefan aus dem Siepen durch charmanten Witz und die feine Ironie, mit der er Tragik und Größe unseres Lebens in den Blick nimmt.
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