Als hätten Cormac McCarthy („Die Straße“), Gerard Donovan („Winter in Maine“) und Daniel Woodrell („Winters Knochen“) gemeinsame Sache gemacht, und diese freche, rotzige, auf sprachlicher Ebene dennoch fein komponierte, moderne „Western-Story“ zu Papier gebracht. Dass es sich hierbei um einen Debütroman handelt, kann man weder erahnen, noch in irgendeiner Weise herauslesen, so professionell, so weitsichtig scheint Tyrell Johnson auf seinen postapokalyptischen Plot eingegangen zu sein. Das Ergebnis spricht jedenfalls eine klare Sprache:
Dieses unfassbar starke Setting, diese verdammt unbehagliche Atmosphäre, sowie die Punktlandung in Sachen Ausführung, sind lediglich ein paar wenige Faktoren, die „Wie Wölfe im Winter“ so anders, so tiefgehend,...so sehr lesenswert machen.
Was Tyrell Johnson und seine Story jedoch am deutlichsten vom Massengeschäft abhebt, ist sein sensationeller Stil. Jedes Wort ist perfekt gewählt, und sitz genau da wo es sitzen soll: Am richtigen Platz!
Doch die wohl wichtigste Komponente, die essentiellste Substanz seiner Geschichte,...ist 23, weiblich, jung, taff, Überlebenskünstlerin, und hört auf den Namen Lynn McBride. Johnsons Protagonistin. Johnsons Leitwolf. Und obwohl er sich so intensiv, liebe- und aufopferungsvoll um seine Hauptfigur kümmert, hat er sich dennoch die Zeit genommen, den Nebencharakteren eine glaubwürdigen Hintergrundgeschichte zu verpassen, ohne dabei aber Lynn ins Abseits drängen zu müssen.
Auf charakteristischer Ebene hat er sie über ihre selbst ernannten Survival-Richtlinen hervorragend definiert. Sie lauten:
1. Vergiss dein altes Leben...
2. Lerne, Tiere zu jagen zu zerlegen und zu kochen - ohne dich dabei zu übergeben!
3. Arrangiere dich mit der Kälte...
4. Beschütze den Rest deiner Familie mit allen Mitteln.
5. Vertrau niemanden!
„Von der ersten Seite an wird es deutlich, dass man sich in den Händen eines hochbegabten Geschichtenerzählers befindet.[...]“ (Beth Lewis, Autorin von "The Wolf Road")
Fazit:
Es gibt ja Unmengen an „Coming of Age“ - Geschichten, die in diesem gewissen „Survival-Kostüm“ auftreten und sich feiern lassen: Frau/Mann wird von der Welt verstoßen, Chaos bricht herein, Protagonist überlebt, kämpft sich durch die dystopische Ödnis, muss Rückschläge einstecken, steht wieder auf, fällt erneut, und kratzt am Ende doch noch irgendwie die Kurve. Kennt man doch zur Genüge. Aber jetzt mal im Ernst: „Wie Wölfe im Winter“ ist anders. Dieses Story-Konzept von Tyrell Johnson haut einen doch glatt vom Hocker! Warum? Es lässt sich kaum erklären, was nun der ausschlaggebende Punkt gewesen sein muss, dass sich - für meinen Geschmack zumindest - dieses Werk so unfassbar gut, so stark, so richtig anfühlt. Wahrscheinlich lag es ganz einfach am Zusammenspiel zwischen „Setting“, „Atmosphäre“, „Protagonistenausarbeitung“ und „Schreibstil“. Oder es lag ganz einfach an der Andersartigkeit des Romans, bzw. an der Art wie Johnson eine postapokalyptische Ausgangslage, in ein verwertbares, nicht klischeehaftes Vorher-/Nachherbild verwandelt.
Bevor ich euch noch schnell eine meiner Lieblingspassagen aus dem Roman darlege, greife ich kurz vor: GANZ KLARE KAUFEMPFEHLUNG!
„Wie Wölfe im Winter“ - Seite 39
Was ich am Sommer vermisse:
Die Sonne.
Wärme.
In den Fluss zu springen.
Kurze Hosen und T-Shirts zu tragen.
Freezies aus dem Laden an der Ecke.
Sandalen.
Badeanzüge.
Hot Dogs.
Hamburger.
Jedes Essen, das nicht aus Elch, Reh, Hase, Ziegenkäse, Ziegenmilch, Kartoffeln oder Karotten besteht.
Nach Kalifornien fliegen.
Filme anschauen.
Mit Dad in einem Riesenschlauch den Fluss runterfahren.
Dad, wie er mir Angeln beibringt.
Dad, wie er Walt Whiteman liest.
Dad, wie er mir sagt, ich soll ins Bett gehen und dass er zwar wisse, dass es draußen noch hell sei, aber dass das keine Rolle spiele. Das jetzt einfach Schlafenszeit war.
Dad, wie er unter der Dusche singt.
Dad, wie er lacht.
Dad.
Inhaltsangabe:
Die Welt, wie Lynn sie kannte, existiert nicht mehr, seit ein Grippevirus einen Großteil der Menschheit ausgelöscht hat. Mit ihrer Familie kämpft sie im eisigen Yukon ums Überleben. Jahrelang haben sie keinen Kontakt zum Rest der Welt gehabt, bis plötzlich ein Fremder erscheint. Er wird verfolgt, und sie nehmen ihn bei sich auf. Doch in dieser neuen Welt ohne Nahrung, ohne Regeln und ohne Moral bringen sich Lynn und die anderen damit in Lebensgefahr…
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