Beabsichtigt oder nicht: John Darnielle holt aus diesem - etwas „altmodischen“, bereits von vielen Seiten beleuchteten - Plot, ein unfassbar unterhaltsames „Old-School-Psychodrama“ raus, fügt dem Ganzen einen Hauch „Noir-Krimi“ bei, lässt die stark spürbare Naivität und Leichtsinnigkeit des amerikanischen Hinterwäldler-Daseins der 90er Jahre auf seine agierenden Charaktere überschwappen und interpretiert so manche Handlungskomponente, andersartig, quasi völlig neu. Wenn es nicht bereits in der Inhaltsangabe stehen würde, würde ich meinen: David Lynch („Twin Peaks“), Joel Schumacher („8 Millimeter“), David Fincher („Sieben“) und John Darnielle hätten gemeinsame Sache gemacht. Äußerst beunruhigend.
Auch die ‚Los Angeles Times‘ trifft den Nagel in Sachen Unterhaltungswert ziemlich auf den Kopf:
„Ein brillantes Buch! John Darnielle baut die Spannung meisterlich auf; es ist beinahe unmöglich, mit dem Lesen aufzuhören. REKORDER ist das wichtige Werk eines Autors, der auf dem Weg ist, einer der großen Stars der amerikanischen Literaturszene zu werden.“
Darnielles Erfolgsgeheimnis lässt sich vermutlich an drei Kernelementen festmachen:
1. „Die Handlung ist das Herzstück der Geschichte“: Soll heißen, dass Darnielle der Vorantreibung seines Storyverlaufes, sowie der Formung einzelner Szenenbilder, deutlich mehr Wichtigkeit beigemessen hat, als der Ausprägung seiner Charaktere. (So hatte ich zumindest den Eindruck.) Was uns zu Phase Nummer zwei bringt:
2. „Charaktere sind austauschbar“: An dieser Stelle werden jetzt einige von euch dementieren und gegenteiliger Meinung sein. Gut so. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, dass Darnielle so sehr mit seiner Geschichte beschäftigt war, dass er die Zeichnung seiner Charaktere, die Ausprägung des Tiefgangs seine Figuren,...unbewusst vernachlässigt hat. Ein netter Nebeneffekt bleibt: Die Handlungsstränge bekommen dadurch mehr Volumen und gewinnen enorm viel an Qualität dazu.
3. „Das Ende steht im Fokus“: Wem es gelingt, seinem Roman einen hohen Unterhaltungswert beizumessen, indem er die Lesereise durch interessante Handlungskomponenten aufwertet und das Thema an sich blitzsauber umzusetzen weiß, der hat es kaum nötig, seiner Geschichte einen „alles veränderten“ Schlussakt anzufügen. Darnielle macht es trotzdem! Bravo!
Fazit:
„Rekorder“ ist nicht bloß eine weiterere schlecht kopierte Abhandlung eines oft in Szene gesetzen Themas, sondern eine neue, andersartige Interpretation, die vor allem die Abründe der amerikanischen Unmenschlichkeit der 90er Jahre vielseitig beleuchtet. Außerdem nimmt er die vom Aussterben bedrohte „Videotheken-Sepzies“ - auf eine charmante Art und Weise - gehörig auf die subtile Schippe, zelebriert seine Liebe zu alten Filmklassikern und gibt der guten alten VHS die Möglichkeit,...erneut unterzugehen.
Zudem ist der Roman in seiner kurz und knappen, lakonischen Ausführung äußerst leicht zu verdauen, fühlt sich aber beim Lesen dennoch sehr ambitioniert und lebendig an.
Man kann also zusammenfassen: John Darnielle hat einen unfassbar unterhaltsamen Roman entwickelt, der sich manchmal etwas provokativ um sich selbst kümmert und seine Charaktere aufs Abstellgleis befördert. ABER: Die Story per se entschädigt so Einiges.
Daher: Für uns, eine ganz klare Kaufempfehlung!
Inhaltsangabe:
In einer Kleinstadtvideothek inmitten Iowas tauchen seltsame und unheimliche Filmschnipsel auf den Leihkassetten auf. Dunkle und grobkörnige Szenen, die eine Scheune zeigen, darin ein leerer Stuhl, Atemgeräusche sind zu hören. In späteren Clips taucht eine Frau auf, erst gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf, dann durch ein Maisfeld laufend – auf der Flucht vor dem Kameramann.
Der Videotheksmitarbeiter Jeremy will nichts mit der Sache zu tun haben, doch als seine Freundin Stephanie die Scheune in den Filmszenen wiedererkennt, muss er handeln.
Die Suche nach der Wahrheit hinter den Videos führt Jeremy und Stephanie in die Vergangenheit.
Ein atemberaubender Roman für Fans von David Lynch.
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