Rezension: "Borne" von Jeff Vandermeer

Ich wollte meine Rezension auf gar keinen Fall derart gewalttätig beginnen, aber dieses Buch lässt mir keine andere Wahl: Jeff Vandermeer ist ein Wahnsinniger, ein Grenzgänger, ein Seelen-Massakrierer, ein Vorstellungskraft-Vergewaltiger. Und das im allerbesten Sinne. Seine Erzählung (sofern man das Gelesene überhaupt so bezeichnen kann/darf), die sich um zwei undefinierbare Mysterien namens ‚Mord’ und ‚Borne‘ (...klingt ziemlich seltsam, ich weiß...) zu drehen scheint, ist seltsam und in gleichem Maße aufregend. Sie ist kontrovers, unkalkulierbar, vielseitig,...kurzum: eine außergewöhnliche Leseerfahrung.

Am Faszinierendsten aber sind die mehrschichtigen Ebenen, die sich im Laufe der Geschichte entfalten. Und obwohl man zu Beginn der Handlung das Gefühl hat einem objektiven Schwachsinn zum Opfer gefallen zu sein, entlarvt Vandermeer nach und nach die subtile Ader seiner hochkomplexen Handlung.

Zugegeben: Sämtliche Protagonisten/Charaktere - die Anzahl ist ohnehin überschaubar - spielen in diesem postapokalyptischen Szenario eine derartig kleine Nebenrolle, sodass es kaum auffallen würde, würde man diese vollständig austauschen. Vielmehr identifiziert sich der Roman durch seinen Namensgeber und dessen schlussendlicher Entwicklung.

 

Fazit:

 

Drei Besonderheiten darf man so klar und deutlich hervorheben:

 

1. ‚Borne‘ ist schlichtweg großartig geschrieben. Auch wenn der Inhalt sehr viele Meinungen spalten wird, so kann man dennoch das Gelesene auf einen sprachlichen gemeinsamen Nenner bringen. Vandermeer benutzt eine durchwegs eloquente Schreibe und belässt seine Storykomponenten stets in einem verwertbaren Kontext.

 

2. Lesen muss nicht immer einfach sein, es dürfen auch durchaus mal die grauen Gehirnzellen aktiviert werden. Und genau DAS tut der Roman auch. Durch seine Vielfalt, durch seine Eigenständigkeit, bzw. durch seine unbändige Spiellaune mit dem inhaltlichen - von Vandermeer herangezüchteten - Schachtelsystem, hat er im Rennen mit seinen Artgenossen die Nasenspitze vorne. Wie schon gesagt: Schritt für Schritt, Ebene für Ebene, gewährt ‚Borne‘ tiefere Einblicke und wird für den Leser immer transparenter. Außer Frage steht: Dieses Buch passt in keine gewöhnliche „Endzeit-Schublade“!

 

3. Obwohl Vandermeer abermals ein ganz klares, deutlich spürbares Faible für Biochemie (im Allgemeinen: Biotechnologie) durchscheinen lässt, so wird man keinesfalls diesem durchaus unterhaltsam aufbereitetem Schwerpunkt überdrüssig. Ganz im Gegenteil. Mir fällt tatsächlich kein Autor ein, der dieses Thema (unter dem Deckmantel eine Dystopie versteht sich), auch nur ansatzweise so interessant und nachhaltig abbilden kann wie Vandermeer. Dafür zolle ich an dieser Stelle meinen höchsten Respekt.

 

Wie bereits oben erwähnt, ist eines ganz klar: Dieses Buch wird inhaltlich die Geister scheiden, und zwar in einer radikalen Form zwischen „sensationell“ und „unfassbar mies“. Es wird höchstwahrscheinlich zwei spezielle Lager bilden: Jene, die sich auf dieses Abenteuer einlassen möchten, die Vandermeer bereits aus früheren Projekten kennen, die seinen Hang zur Übertreibung zu schätzen wissen und jene die mit dieser frechen Selbstdarstellung der Welt, mit diesem leicht satirischen Kontrastprogramm zum Genre-Mainstream schlichtweg nichts anfangen können. Beide Standpunkte sind aber absolut vertretbar!

 

Inhaltsangabe:

 

In einer zerstörten Stadt der nahen Zukunft überlebt Rachel, indem sie in den Ruinen nach Überresten biotechnologischen Abfalls sucht. Ihre Beute bringt sie zu ihrem Partner Wick, der aus den gesammelten Überresten psychoaktive Drogen herstellt und verkauft. Die Stadt ist gefährlich, übersät mit den ausrangierten Experimenten der Firma – einem zerfallenen Biotech-Unternehmen – und geplagt von den unvorhersehbaren Raubzügen eines riesigen Bären namens Mord.

 

Im Fell von Mord findet Rachel bei einer ihrer Expeditionen Borne, ein undefinierbares Wesen, das auf sie eine merkwürdige Anziehung ausübt. Entgegen ihren Instinkten – jede Schwäche kann dich in dieser erbarmungslosen Stadt töten – nimmt sie Borne mit in ihr Versteck. Doch Borne ist viel mehr, als Rachel sich vorstellen kann. Er lernt sich zu bewegen, zu reden, seine Gestalt zu verändern und beginnt zunehmend, die delikate Balance der Macht in der Stadt zu bedrohen. Während sich neue Feinde der Firma formieren, führt Bornes Metamorphose Rachel vor Augen, wie sehr ihre prekäre Existenz auf Lügen und Geheimnissen beruht, deren Aufdeckung ihre Welt für immer verändern wird.

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