Rezension: "Du hättest gehen sollen" von Daniel Kehlmann

Dem gebürtigen Münchner, Daniel Kehlmann, ist 2008 mit "Die Vermessung der Welt" ein sensationeller Erfolg geglückt. Sein Werk, in bisher 46 Sprachen übersetzt und von Detlev Buck verfilmt, wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Romane der Nachkriegszeit.

Kehlmann wurde u. a. mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem WELT-Literaturpreis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.

 

Im Oktober 2016 ist unter der Rowohlt-Flagge sein neues Buch - "Du hättest gehen sollen" erschienen und schafft es erneut, Fans und Presse wahrlich zu begeistern:

 

"In dieser Erzählung, seinem vielleicht besten und abgründigsten Text bisher, nimmt Kehlmann den Skandal der Zeitlichkeit mit besonderer Raffinesse in den Blick." (Ronald Pohl, Der Standard)

 

"Daniel Kehlmann macht, dass unser eigener Kopf zum Spukhaus wird – und dreht die Schauerliteratur eine ganze Umdrehung weiter." (Martin Ebel, Die Welt)

 

"Eine kleine Erzählung, die einen packt und lange nicht loslässt. So einfach wie kunstvoll. Sorgsam geschliffen und in der Tiefe ein Funke Schmerz." (Irmtraud Gutschke, Neues Deutschland)

 

"Es ist das unzuverlässige Erzählen, die permanente Erschütterung der Wirklichkeit, welche die Verführungskraft des Buches ausmacht. (…) Sein Schöpfer ist eben ein Magier des Abgründigen, ein Grenzvermesser zwischen Spuk und Wahrheit und nicht zuletzt ein Reiseführer in die versteckten Windungen des menschlichen Unterbewusstseins."

(Björn Hayer, Berliner Zeitung)

 

"Kehlmann gelingt es, auf nur 92 Seiten ein konzentriertes, virtuoses literarisches Rätsel zu stellen … und schreibt in diesem Sinne seine «Vermessung der Welt» in die Zukunft und auf notwendigerweise leeren Seiten fort." (Nils Minkmar, Literatur Spiegel)

 

"Auf Länge (oder eben Kürze) ist es bei diesem ebenso pfiffigen Schriftsteller (und Literaturkenner) noch nie angekommen. Kurzweilig, aber auch spannend." (Gerald Schmickl, Wiener Zeitung)

 

"Kehlmann bestätigt sich als ein Sprachkünstler, der auch Kompliziertes in plausible, fesselnd zu lesende Zusammenhänge zu übersetzen vermag. (...) Man möchte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. "Thomas Groß, Mannheimer Morgen"

 

"Kehlmann treibt seinen Erzähler gnadenlos in die Enge und erweist sich dabei – ähnlich wie sein großes Vorbild Borges, den das Thema der Unendlichkeit ebenso wenig losließ wie die Phänomene Zeit und Realität und die Frage, wie der menschliche Verstand und das Gefühl sie wahrnehmen – als beeindruckender philosophischer Zweifler." (Peter Henning, Spiegel online)

 

"Als Leser folgt man diesem großen Erzähler gerne überallhin."

(Welf Grombacher, Rheinische Post)

 

"So klein wie fein (…) Kehlmann inszeniert mit sparsamen Mitteln und einer klaren, nüchternen Sprache ein Spiel mit Raum und Zeit." (Jörg Magenau, Der Tagesspiegel)

 

"Daniel Kehlmann ist ein ausgekochter Verführer, er trifft auch diesmal wieder ins Schwarze. Zwei, drei Seiten, und er hat die Leser für sich gewonnen." (Heide Soltau, NDR Kultur)

 

"Selten hat Kehlmann ein derart raffiniertes Realitätslabyrinth entworfen, selten den Leser so tief ins Dickicht des Zweifels geschickt. (…) der verwegenen Fantastik steht nicht nur eine glasklare, wohltuend gelassene und nie raunende Sprache zur Seite, sondern auch enorme Menschen- und Sozialkenntnis." (Ursula März, DIE ZEIT)

 

"Eine Erzählung, die daran erinnert, wie groß gerade kleine Kunstwerke sind."

(Tobias Rüther, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

 

Zum Buch:

 

Zuallererst muss ich sagen, dass es für mich lediglich eine handvoll Autoren gibt, die auf eine ähnlich kurze Distanz wie Kehlmanns, unglaublich viel zu erzählen haben. Beim Lesen war ich sehr stark an eine Mixtur aus Köhlmeier und Aichner erinnert. "Köhlmeier", aufgrund der extrem komprimierten, dennoch sehr aussagekräftigen Story, "Aichner" in Bezug auf die reduzierte Sprache, die meist sogar innerhalb eines Satzes, sehr trächtig bzw. kraftvoll wirkt.

Ähnlich verhält es sich bei Kehlmanns "Du hättest gehen sollen":

Er nimmt nimmt sich - auf sprachlicher Ebene - sehr zurück, wird kaum ausführlich, verzichtet auf ausgedehnte, seitenfüllende Beschreibungen und bleibt seiner Linie bis zum Ende treu. Hinzu kommt, dass er aus seinem Plot - so seltsam das bei 96 Seiten(!!!!) auch klingen mag -, das absolute Maximum rausholt und seine kleine aber feine "Ghoststory", sein kluges Familiendrama, mit dem nötigen Tiefgang blitzsauber zu Ende erzählt. Klar ist aber auch, dass seine Charaktere - aufgrund der geringen Seitenanzahl - keinesfalls die Aufmerksamkeit erhalten haben, die sie vllt. verdient hätten und somit ein klein wenig in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Im Endeffekt aber relativ unwichtig, da die Story so viele intelligenten Phasen, so viele feine Schachzüge zu bieten hatte, dass man über die Knappheit der Figurenausarbeitung sehr gerne hinwegsieht.

 

"Lass eine Nebenfigur zweimal das Wort 'Firmament' verwenden. Mehr braucht man nicht, schon hat man sie charakterisiert."

 

"Irgendwann schreibe ich über all das einen Film. Lange Dialoge, viele Rückblenden, keine Musik. Er wird 'Ehe' heißen."

 

Inhaltsangabe:

 

Ein einsam gelegenes Ferienhaus. Tief unten das Tal mit seinen würfelkleinen Häusern, eine Serpentinenstraße führt hinauf. Das kalte Blauweiß der Gletscher, schroffer Granit, die Wälder im Dunst – es ist Dezember, Vorweihnachtszeit. Ein junges Ehepaar mit Kind hat sich für ein paar Tage dieses komfortable Haus gemietet, doch so richtig aus der Welt sind sie nicht: Das Kind erzählt wirre Geschichten aus dem Kindergarten, die Frau tippt Nachrichten auf dem Telefon, und der Mann - ein Drehbuchautor, von dem ein Produzent den zweiten Teil seiner erfolgreichsten Komödie erwartet - schreibt Ideen und Szenen in sein Notizbuch. Aber mehr und mehr notiert er auch anderes - eheliche Spannungen, Zwistigkeiten, vor allem die seltsamen Dinge, die rings um ihn geschehen. Denn mit dem Haus stimmt etwas nicht. 

Daniel Kehlmanns phantastische Erzählung ist im doppelten Wortsinn unheimlich, die Spirale in den Abgrund entwickelt einen starken Sog – umso mehr, als dem Schrecken etwas zur Seite gestellt wird: die wechselnden Stimmungen in der Familie, das Nebeneinander von Liebe und Gereiztheit, die Sorge um das Kind. «Das Geheimnis ist, dass man sich ja doch liebt.» Ist es so? Allmählich verschwimmen die Konturen, und der Boden beginnt zu wanken.

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